Memoiren

Geschrieben im Dezember 1971.









Eines aufmüpfigen Schülers

"Alle Macht geht vom Volke aus", hat der inzwischen verstorbene hannoversche Kabarettist Dietrich Kittner in einem seiner Bühnenprogramme gesagt und schloss diese Frage an: "Aber wo geht sie hin?" Gute Frage. Oft geht sie einfach nur ein. Ein Beispiel: Bildungspolitik ist ein wichtiger Baustein der Politik von Bundeskanzler Willy Brandt gewesen. Dass nur wenige Arbeiterkinder Abitur machen und studieren konnten, lag ihm schwer im Magen. Seine Reformpolitik brachte neue Schulformen mit, geöffnet wurde ein zweiter Bildungsweg. Dazu gehörte das Wirtschaftsgymnasium, an dem man das Abitur nachholen konnte. Das war auch in Wilhelmshaven so. Doch viele Lehrerinnen und Lehrer waren nicht so, wie man sich Lehrerinnen und Lehrer eigentlich wünscht.

Das fing beim Oberstudiendirektor an, der Geschichte nur unterrichten konnte, wenn er vom Text des Schulbuches nicht abwich. Nebenher wollte er auch noch Karriere in der Wilhelmshavener SPD machen. Unsere Mathematiklehrerin stand meistens hilflos an der Tafel, weil sie von diesem Fach weniger verstand als so mancher Schüler, der ihr irgendwann zu Hilfe eilte, was sie nicht froh stimmte, sondern sauer machte, bis sie von einem Kollegen abgelöst wurde, der als Begleit-Dackel des Oberstudiendirektors besser geeignet gewesen wäre.

Erschwerend für Oberstudiendirektor, Lehrerinnen und Lehrer kam hinzu, dass wir mehr lernen wollten als sich das Kultusministerium ausgedacht hatte. Wir wollten nicht nur die Klassiker lesen, sondern auch Literatur aus der Gegenwart, Erzählungen und Romane aus der DDR eingeschlossen. Wir wollten nicht nur Schulbücher aufschlagen, sondern auch Zeitungen und Zeitschriften aus West und Ost, weswegen einige von uns eines Tages sogar vom Verfassungsschutz beobachtet wurden. Die Wilhelmshavener SPD beobachtete uns schon länger. Ratsherren verlangten von uns mehr Dankbarkeit für die Möglichkeit, Abitur machen zu dürfen. Für Hinweise, dass mit dem Schreibmaschinenwerk Olympia ein großer Arbeitgeber von den Managern vor die Wand gefahren wird, war dagegen niemand in der SPD dankbar. Bei Olympia hatte ich Industriekaufmann gelernt. Ich wusste, was dort falsch lief.

Daraufhin spielte der Oberstudiendirektor falsch. Im Geschichtsunterricht verglich er mich mit Hitler und trug das sogar noch ins Klassenbuch ein. Sein Begleit-Dackel, der Mathematik-Lehrer, verpasste mir kurz darauf den zweiten Eintrag. Mein Abitur geriet in Gefahr, ein Klassenkamerad beschwerte sich in einem Leserbrief an die Lokalzeitung über dieses Mobbing. Darauf reagierten der Oberstudiendirektor und seine Gefolgschaft noch wütender. Also schrieb auch ich an die Lokalzeitung. Das irritierte die Mobber. Sie hofften vergeblich darauf, dass ich irgendwann den Verfasser des ersten Briefes verraten würde. Klar war ihnen nur: Es gab mindestens zwei Schüler, die sich nicht alles gefallen lassen wollten. Hätte man mich von der Schule geworfen, wäre also mindestens ein Kritiker übrig geblieben. So schaffte ich das Abitur doch noch, obwohl ich in der mündlichen Mathe-Prüfung hereingelegt wurde. Die Prüfungskommission erklärte die falsche Lösung unseres Mathematik-Lehrers für richtig. Aber ich war auch mit der 3 zufrieden, die ich mir mit der schriftlichen Arbeit bereits gesichert hatte.

Für mich blieben diese Erlebnisse aus meiner Schulzeit stets ein Musterbeispiel dafür, wie sich Herrschaftsverhältnisse entwickeln, wenn die Herrscher nichts weiter haben als willfährige Strippenzieher. Die Olympia-Werke gibt es schon lange nicht mehr, die Einwohnerzahl von Wilhelmshaven ist von 103 000 auf 78 000 gesunken. Die Strippenzieher haben heute andere Namen - aber immer noch die gleichen Methoden. Der durchschnittliche Wilhelmshavener geht derweil seiner Wege und ist froh, wenn sich seine Wege möglichst selten mit den Wegen derjenigen kreuzen, die alles wegmetzeln, was noch selbst denken kann.

Weiteres Beispiel: Verleumder in Wilhelmshaven Hier klicken







 

Kommentare

Beliebte Posts