Statt Villa im Tessin

Und andere Vorhersagen

Heute muss ich die Bundesbildungsministerin loben. Was Johanna Wanka zur Entrümpelung der Lehrpläne gesagt hat, könnte ich in weiten Teilen unterschreiben. Auch ich erinnere mich lebhafter an einen privaten westfälischen Frieden als an den historisch angeblich wichtigen. Auch ich habe "Das siebte Kreuz" von Anna Seghers im Deutsch-Unterricht spannender gefunden als die Leiden irgendeines Mannes, dessen Name mit W. begann. Als wir aber zu ihrem 75. Geburtstag den Vorschlag machten, unsere Uni in Mainz möge nach ihr benannt werden (Anna Seghers wurde in Mainz geboren), reagierte die "Mainzer Allgemeine Zeitung" mit verquarzten Argumenten und die Uni-Leitung mit dem Hinweis, diese Schriftstellerin lebe inzwischen in der DDR. Was wohl die Qualität ihrer Werke so sehr schmälerte, dass man sich an sie nicht mehr erinnern wollte.

Am Gymnasium haben wir mit unserem Deutsch-Lehrer so manchen Streit geführt, bis wir endlich über Gegenwartsliteratur diskutieren und Medien analysieren durften. Stand alles nicht im Lehrplan. Einige Autoren und Zeitschriften standen sogar auf einer Tabu-Liste, obwohl beispielsweise die Geschichte von Ulrike Meinhof mehr über die Bundesrepublik Deutschland aussagte als vielen lieb war. Irgendwann beendete mein Deutsch-Lehrer eine Diskussion mit der Behauptung: "Peter, du gehörst zu den Linken, die irgendwann eine Villa im Tessin haben." Das hätte ich mir schriftlich geben lassen sollen...Im Tessin bin ich zwar später mit meiner Schweizer Freundin gewesen, aber nirgendwo stand eine Villa für uns herum.

Auch an der Mainzer Universität wurde ich mit einer Vorhersage über meine Zukunft versorgt. Ein Professor bat mich zu sich und sagte: "Ich lese Ihre Flugblätter über die aktuelle Wirtschaftspolitik gern. Aber mit dieser Einstellung machen Sie nie Karriere. Was Sie schreiben, will man nicht hören." Schon vorher hatte der Verleger der "Wilhelmshavener Zeitung" nicht gern gehört, dass ich Kriegsdienstverweigerer war. "Sie müssen gedient haben", sagte er. Ich habe mir in diesem Augenblick gedacht: "Eins muss ich ganz bestimmt nicht. Auf Leute schießen, die ich nicht kenne. Das lasse ich mir nicht befehlen."

Weiterhin galt für mich Learning bei doing. Nach einem Volontariat in einem hannoverschen Verlag, bei einer Nachrichtenagentur in Hamburg und bei einer Tageszeitung war ich nur neun Monate lang Redakteur. Dann wurde ich Chefredakteur mehrerer Zeitschriften. Bis ich in den Betriebsrat gewählt wurde und für die Kolleginnen und Kollegen eintrat. Da mobbte man mich weg. Ich wechselte zu einer Tageszeitung und wurde nach knapp zwei Jahren wegen "kritischer Berichterstattung" entlassen. Ich versuchte es beim nächsten Verlag. Der warf mich wegen "tadelloser Arbeit" (der Anwalt des Verlages vor dem Arbeitsgericht) hinaus, weil der Chefredakteur das so wollte. Schon war ich 14 Jahre lang bei einer Wochenzeitung in der Region Hannover, die ich am 3. Januar 2003 auf Nimmerwiedersehen verließ, als ein Freund von mir, der behindert ist, verspottet wurde. Dieser Mann war damals CDU-Ratsherr und Vorsitzender einer sozialen Organisation. Meine Achtung vor seiner Arbeit ließ mir gar keine andere Wahl als zu gehen...

Ich habe mich nie gefragt, ob mir das, was ich tue, Lob oder Tadel einbringt. Das Wichtigste war: Ich wollte mich in meiner Haut wohlfühlen und nicht so enden wie der Schuster in "Der Hauptmann von Köpenick". Wenn ich heute an meinem Gymnasium vorbeiradele, sehe ich dort immer noch eine Klassenkameradin von mir, die eine durchsichtige Bluse trägt und mich anlächelt. Wenn ich in Hannover bin und Liebespaare sehe, die zu Felsen vor dem Rathaus gehen, fliegen meine Gedanken zu einem Abend an gleicher Stelle. Bin ich in Luzern, bleibe ich an der Stelle am Vierwaldstätter See stehen, an der mir eine Frau gesagt hat, dass sie ein Kind von mir erwartet.

Ich werde das Gefühl nicht los, dass viel zu viele in ihrem Leben so lange Geld und Macht anhäufen, bis sie zu sich selbst nicht mehr durchdringen. Und manchmal zucke ich zusammen. Heute steht in der "Bild am Sonntag", wie toll es Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr gefunden haben will, Vater zu werden. Der Bericht endet so: "Offen gesteht der FDP-Mann: ´Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass man sich schon vor der Geburt des Kindes bei der Kita anmelden muss." Ein Kind ist noch nicht da - und er macht sich schon Gedanken darüber, wie man dieses Kind der Karriere zuliebe von anderen erziehen lässt?

In dieser Wohnung hat einmal ein Neffe neben mir auf der Couch gesessen. Er sagte: "Peter, du machst nie einen Fehler." Gefragt habe ich ihn: "Hältst du mich für bescheuert?" Als er mich mit großen Augen ansah, fügte ich hinzu: "Jeder macht Fehler - die ganz Dummen wiederholen sie immer wieder. Mach lieber neue..."



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